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Spektroskopisches Rätsel

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Moderator: mkeiser

Spektroskopisches Rätsel

Beitragvon Martin Dubs » 12.01.2013 19:09

Hallo Kollegen,

da das Wetter in letzter Zeit ja nicht so berauschend war, habe ich mich mehr theoretisch mit Spektroskopie befasst. Ich habe Dong Li geholfen, seine Spektren für die del Ori Kampagne mit ISIS geeignet aufzubereiten.
Dabei hat er mir folgendes Spektrum von bet Eri (Typ A3III) geschickt:
_beteri_nocal_20121230_604_A3III.jpg
bet Eri mit Vergleich A3III Spektrum

Die Übereinstimmung ist soweit gut, die Kalibrierung habe ich überprüft, auch an einem Spektrum von del Ori mit H2O Linien:
_min_20121230_639_shiftcompGarrell.jpg
Vergleich Spektrum del Ori mit Echellespektrum von Thierry Garrel

Bei den Absorptionslinien im Spektrum von bet Eri handelt es sich aber nicht um H2O Linien.
Frage: woher kommen die Linien im oberen Spektrum?
Ich kann die Frage nicht beantworten, eine Suche bei
http://www.spectralcalc.com/info/about.php
hat nichts ergeben, allerdings hat man da nur begrenzten Zugang zu den HITRAN Datenbanken.
Ein Hinweis: eine nähere Untersuchung der Spektren hat ergeben, dass die Absorption veränderlich ist, hier zwei Einzelspektren im Abstand von 10 min:
betaEri_timevariation.jpg

Erstaunlich ist, dass die Absorptionen nur teilweise verschwinden. In den Spektren von del ori ist nichts mehr davon zu sehen.
Hinzufügen kann ich, dass die Spektren in Tianjing (nahe Peking) aufgenommen wurden, in einer Grossstadt. Handelt es sich hier vielleicht um die berüchtigte chinesische Luftverschmutzung?
Hat jemand von Euch (Peter?) eine Idee, worum es sich hier handeln könnte? Falls sich jemand mit der Frage näher befassen möchte, füge ich noch ein paar Spektren an:

Gruss, Martin
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bet_Eri.zip
ausgewählte Spektren von bet Eri und del Ori
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Martin Dubs
 
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Re: Spektroskopisches Rätsel

Beitragvon Martin Dubs » 14.01.2013 01:15

Hallo Martin,

ich stimme mit Dir überein, dass es sich vermutlich um eine vorüberziehende Wolke handelt, allerdings glaube ich nicht, dass man da die Lichtverschmutzung sieht, da diese ja in Emission auftreten sollte. Es handelt sich aber eindeutig um Absorption des Sternlichts und nicht etwa um falsche Subtraktion des lichtverschmutzten Himmelshintergrunds, der ja selbst in der Grossstadt bei einem hellen Stern (2.8m) praktisch vernachlässigbar ist. Ich denke eher an irgendwelche kleine, absorbierende Moleküle (z.B. Stickoxide), die ich aber nicht identifizieren kann, da ja nur ein kleiner Teil des Spektrums (mit LHIRES 2400 L/mm Gitter) beobachtet wurde. Im IR wäre die Identifikation vielleicht einfacher, da kenne ich mich von früher etwas besser aus.

Gruss,

Martin
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Re: Spektroskopisches Rätsel

Beitragvon Richard Walker » 15.01.2013 10:53

Hallo Martin

Dies vorab: Für mich ist dieses Spektrum auch rätselhaft. Der Versuch, das beiliegnde zip file mit dem Spektrum zu öffnen, verwandelte meinen braven Acer Laptop in einen blinkenden Flipperkasten. Dieser Zustand konnte jeweils nur durch einen "Hardware shutdown" beendet werden. Die beiliegende Grafik ist aber aussagekräftig. Die Breite dieser Linien scheint, rein optisch betrachtet, das übliche Mass, sowohl für atmosphärische Wasserlinien, als auch A Klasse-typische Metallinien zu übersteigen. Zudem handelt es sich hier um einen Riesen der Leuchtkraftklasse III, wo infolge der dünnen Atmosphäre, auch keine massiven Linienverbreiterungen zu erwarten sind.

Abgesehen von möglichen Artefakten hier trotzdem die drei mir bekannten Möglichkeiten mit den entsprechenden Daten:

1. Airglow/Lichtverschmutzung

In diesem Bereich sind wir bereits ausserhalb der gröbsten Lichtemissionen unserer Wohlstandsbeleuchtung. Ziemlich genau hier beginnen aber die zum Airglow gehörenden, sog. OH Meinel Banden. Diese werden gegen den Infrarotbereich zunehmend intensiver. Details und Wellenlängen siehe The High-Resolution Light-polluted Night-Sky Spectrum at Mount Hamilton, California, T. G. Slanger P. C. Cosby et al. 2003
http://adsabs.harvard.edu/abs/2003PASP..115..869S
sowie die beiliegende Atlastafel.

2. H2O Linien

Diese Wellenlängen dürften allgemein bekannt sein (z.B. Vspec). Beiliegend trotzdem noch die mit SQUES Echelle aufgenommenen Wasserlinien in den überlagert dargestellten Spektren der Sonne und delta sco (Tafel der zukünftigen Atlaserweiterung).

3. Metallinien

Quelle: spectroweb von Dr. Alex Lobel:The Interactive Database of Spectral Standard Star Atlases
http://alobel.freeshell.org/

Diesen Atlas kann ich nur mit Firefox öffnen. Der Microsoft IE Explorer streikt in der neuen Version wegen der zu aktivierenden Java Applets. Seit Mai 2012 ist hier auch ein hochaufgelöstes, voll kommentiertes A1m IV Spektrum von omi Peg zu finden. Es wäre abzuklären ob die feinen Metallinien um H- alfa hier allenfalls mit diesem Linienmuster korrelieren.

Beste Grüsse

Richi
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T96 Nachthimmel Spektrum.pdf
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T95a Tellurische H2O at H Alpha.pdf
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Re: Spektroskopisches Rätsel

Beitragvon Richard Walker » 15.01.2013 13:15

Ergänzung:

Hier noch eine 4. Variante die von Martin Dubs bereits angesprochen wurde. Die durch das chinesische "Wirtschaftswunder" erzeugten Abgase enthalten sicher auch Moleküle mit 2 bis 3 Atomen, welche in diesem Bereich Absorptionen erzeugen könnten. So z.B. N2, SO2, NO2 etc. Vielleicht müsste man nach solchen fahnden.

Grüsse Richi
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Re: Spektroskopisches Rätsel

Beitragvon Martin Dubs » 15.01.2013 20:54

Hallo Richi,

ich tendiere inzwischen auch eher zu einem Artefakt im Spektrographen.

Airglow würde ich eher ausschliessen, da dies in Emission auftreten sollte und über die ganze Spaltlänge. Davon ist aber nichts zu sehen.
Wasserlinien: Das habe ich natürlich als erstes gecheckt. Hier ein Vergleich der Wasserlinien, angepasst an delOri (Auflösung, Intensität erhöht) mit dem Spektrum von bet Eri:
betEri-H2O.JPG
synthetisches H2O Spektrum mit Auflösung LHIRES

Die beobachteten Absorptionslinien sind breiter und stimmen nicht mit dem Muster von H2O überein.
Metalllinien: Ein Elodie Vergleichsspektrum von bet Eri mit höherer Auflösung zeigt nichts dergleichen (ausser H2O Linien), also denke ich, die Absorptionen sind terrestrischen Ursprungs, darauf deutet auch die Variabilität.
Eine Inspektion der 2-D Spektren zeigt (auf einen Hinweis von Peter Sch.), dass die Linienbreite mindestens teilweise auf schiefe Absorptionslinien zurückzuführen ist (zum Vergleich habe ich noch die Neonlinien eingeblendet, welche übrigens viel schärfer und in konstanter Position liegen):
beteri-1n1c.jpg
2D Spektrum von bet Eri mit überlagerten Neonlinien

Zum Smog über Peking und Umgebung: NO2, NO3 und OH absorbieren in diesem Bereich und ich habe auch Spektren dazu gefunden (eine guter Link ist: http://spectra.iao.ru/1280x796/en/home/, besser als Spectralcalc und ohne Einschränkung verwendbar!)
Hier ein Beispiel dazu, OH im Bereich H-alpha (gleicher Bereich wie Spektren oben):
synthetic OH Spectrum.JPG
OH Spektrum, mit spectra.iao.ru synthetisiert

Leider ist die Wellenlängenskala in cm^-1 = 1e8/lambda [A]
also verkehrt herum. Auch hier keine Übereinstimmung.

Für weitere verdächtige Kandidaten habe ich leider keine Daten um H-alpha gefunden, die Meisten Daten findet man nur im IR und UV (wo die Absorption natürlich auch stärker ist).

NB: Dong Li hat noch mitgeteilt, dass die Spektren bei fast 100% Luftfeuchtigkeit aufgenommen wurden, vielleicht Kondensation?

Fazit: keine Lösung in Sicht. War trotzdem eine interessante Übung in Molekülspektroskopie, bin da leider etwas aus der Übung (>25 Jahre, seit ich mich intensiv damit befasst habe).

Gruss,

Martin
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Re: Spektroskopisches Rätsel

Beitragvon Richard Walker » 15.01.2013 21:21

Hallo Martin

Diese Argumente erscheinen mir alle sehr plausibel und nachvollziehbar. In der roten Flanke (aber nur dort) scheinen die Abstände dieser "fetten" Absorptionen einigermassen regelmässig, was vielleicht auf "Interference fringes" hinweisen könnte. Dazu ist Peter sicher der kompetente Experte. Seltsam, resp. fast unmöglich scheint mir , dass bei dieser hohen Auflösung keine Wasserlinien zu sehen sind. Sind die der chinesischen Zensur zum Opfer gefallen :D ?

Gruss

Richi
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Re: Spektroskopisches Rätsel

Beitragvon Martin Dubs » 16.01.2013 01:13

Hallo Richi,

nein, die H2O Linien sind sehr wohl vorhanden, aber im Rauschen bei diesem Einzelspektrum und unter den starken unbekannten Absorptionen wenig auffällig. Zum Vergleich noch zwei Spektren von del Ori (je 6x300 sec) kurze Zeit später aufgenommen:
_min_20121230_639_-741.jpg
del Ori 6x300sec

Die Spektren wurden 0.02 resp. 0.2A geschoben (mit http://www.peterschlatter.ch/SpectroTools/), um die Drift des Spektrometers über rund 2 Std. zu kompensieren. Die Zenitdistanz betrug bei bet Eri rund 45°.
Für Fringes an einem Fenster scheinen mir die Abstände etwas unregelmässig, aber die Amplitude von rund 10 % wäre zu erklären mit Newtonringen bei sehr kleinem Spalt zwischen CCD Chip und Deckglas, der sich dann später wieder schliesst (d.h. optischer Kontakt wird wiederhergestellt (ziemlich weit hergeholt, aber naheliegende Möglichkeiten gehen mir langsam aus).
Dass Du die ZIP files nicht lesen konntest, verstehe ich nicht, hatte sonst keine Probleme damit (komprimiert mit 7-zip). Dann hast Du aber nicht gesehen, dass in den FITS Header der Spektren ein Fehler drin war, ich habe bei der Auswertung mit ISIS meinen Standort und Instrument hineinkopiert, da ich sonst vergesse, diese Daten für meine Auswertungen wieder zurückzusetzen. Danke Peter für den Hinweis.

Gruss,

Martin
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Re: Spektroskopisches Rätsel

Beitragvon Martin Dubs » 18.01.2013 01:28

Hallo Kollegen,

ich denke, wir können die Suche nach dem Smog am chinesischen Grosstadthimmel abblasen. Dong Li hat mir neue Spektren geschickt, die die Vermutung, dass es sich um ein Artefakt des Spektrographen handelt, mit ziemlicher Sicherheit bestätigen.
Wieder tritt der Effekt bei den Spektren von bet Eri auf, die jeweils als erste direkt nach der Neonkalibrierung gemacht wurden, vermutlich kurz nach Einschalten der Kamera. Ebenfalls verschwindet der Effekt nach rund 10 Minuten (jeweils 5 Minuten pro Aufnahme).
Hier das Spektrum (gemittelt aus 3 Einzelspektren):
betEri20130117ToolsH2O.JPG
bet Eri Spektrum roh, getrocknet

Diesmal ist nur eine Absorption vorhanden, H2O Linien schwach sichtbar.
Den zeitlichen Veerlauf ersieht man aus folgender Darstellung (Spektren in vertikaler Richtung verschoben):
betEri2D20130117timevar.JPG
bet Eri, 3 Einzelspektren 2D

Im ersten Spektrum ist die Absorption deutlich stärker als H-alpha, nimmt dann in der Intensität ab unsd verschwindet im letzten Spektrum.
Ich denke, beim Kühlen der CCD kondensiert Wasserdampf auf einigen Stellen des CCD Chips, der dann später auf anderen, kühleren Stellen des Chipgehäuses kondensiert. Möglicherweise ist er auch nur besser verteilt, was die Abnahme der Gesamtintensität des Spektrums erklären würde.

Abhilfe schafft da nur ein Trocknen des Kamerainnern.

Gruss,

Martin
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Re: Spektroskopisches Rätsel

Beitragvon Jörg Schirmer » 18.01.2013 11:23

Hallo zusammen und ein besonderes Hallo an unsere Detektive,

wunderbar, wie ihr der möglichen Ursache auf die Schliche gekommen seid. Das Beispiel zeigt aber auch, mit was für Artefakten man so rechnen muss, und dass man seine Spektren selbst nach allerlei Reduktionen kritisch anschauen sollte.

Schöne Grüsse,
Jörg!
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